Zu Shanghai fallen mir lauter Klischee-Stereotype ein - Dschunken, Spelunken, Opiumhöhlen im Dämmerlicht, zwielichtige Gestalten, Prostitution, Tripper und andere fiese Krankheiten.
Ich war gespannt, was mich wirklich dort erwartet, bestimmt nicht oben Aufgezähltes …
Aber zunächst die Anreise - man erkennt sich am Gepäck ...
Bei der Mietwagen-Rückgabe am Flughafen Frankfurt bemerkte eine Frau neben uns unsere Gepäckberge und meinte, dass wir ja genauso viel Gepäck hätte wie sie. Wir kamen also ins Gespräch.
Sie und ihr Partner haben - genau wie wir - die Tretmühle verlassen und sind in der Welt unterwegs, zur Zeit Richtung Nordamerika, wo ihr Wohnmobil auf sie wartet. Schnell haben wir Adressen ausgetauscht und uns in unbestimmter Zeit an unbestimmtem Ort verabredet - sie schreibt im Übrigen auch einen Reiseblog - witziges Zusammentreffen ...
Einige Stunden, drei Spielfilme und eine halbe Mütze voll Schlaf später sind Peer und ich dann schließlich in Shanghai gelandet.
Als ich seinerzeit 1975 im mündlichen Abitur in Politischer Weltkunde das Thema „Die Entwicklung der Volkskommunen in der VR China“ gewählt hatte, hätte ich nie damit gerechnet, das Land einmal zu bereisen. Inzwischen bin ich schon zum vierten Mal hier und nichts hat mehr mit dem zu tun, worüber ich seinerzeit berichtet habe.
Ob der Kürze der Zeit - wir hatten zweieinhalb Tage - haben wir uns nach einem langen Fußmarsch irgendwann in den „Hop-on-hop-off“ Bus geschmissen. Über Kopfhörer gab es da Infos über Shanghai - ein paar Sätze muss man sich auf der Zunge zergehen lassen ...
„Die Chinesen lieben Luxusartikel“ - soviel zu den unzähligen Malls, die sich über die ganze Stadt erstrecken und in denen es alle high-class-super-teuren-westlichen Luxusmarken in Unmengen zu kaufen gibt. Shanghai ist das Handelszentrum Chinas und eines der größten der Welt!
Ein weiterer höchst bemerkenswerter Satz galt den neoklassizistischen Gebäuden am „Bund“, der berühmten Uferpromenade am Fluß Huangpu. Diese Bauwerke wurden in Folge der Opiumkriege errichtet, durch die China gezwungen wurde, weiter Opium im Tausch gegen Seide, Porzellan und andere hübsche Dinge zu importieren. Dazu hieß es jetzt - „Diese imperialistischen Bauwerke sind heute der architektonische Stolz der Stadt“...
Ferner erfuhren wir, dass in einem Land, in dem heute noch jeden Geldschein das Antlitz von Mao Tse Tung ziert, der „Erwerb von Eigentumswohnungen kein Problem“ darstellt und sogar staatlich gefördert wird. Was für eine Grätsche - eine kapitalistische Wirtschaft unter strikter Führung der Kommunistischen Partei. Ein Zeugnis dessen springt einem in der ganzen Stadt ins Auge.
Das heutige Shanghai ist in der Tat eine hochmoderne Handelsmetropole.
Steht man am Bund, hat man einen hervorragenden Blick auf den modernen Stadtteil Pudong mit seiner futuristischen Skyline. Wieder einmal beschleicht uns das Gefühl, dass China ganz Europa in nicht mehr allzu langer Zeit komplett abhängen wird. Das Land ist total weit vorne.
Als wir dann den Oriental Pearl Tower mit seinen Bonbon-rosafarbenen Kugel-Plattformen besteigen wollten, einen der höchsten Fernsehtürme der Welt, konnte man am Eingang die baulichen Veränderungen auf Pudong sehen. Die unzähligen Wolkenkratzer wurden in gerade mal 25 Jahren aus dem Boden gestampft, darunter der Shanghai Tower, der mit 632 m Höhe das zweithöchste Gebäude der Welt ist.
Vom Oriental Pearl Tower aus hat man einen hervorragenden Rundum-Blick über die ganze Stadt. Und man sieht leider auch die Dunstglocke, die über Shanghai liegt - es gibt dort große Umweltprobleme, durch Smog, durch Lärmbelastung und auch der Fluß ist kräftig verdreckt.
Eins hat uns aber auf dem Turm völlig geflasht ... In schwindelnder Höhe kann man auf einem Glasboden laufen und unter sich 250 m in die Tiefe starren - heftig!!!
Zum Thema Smog - schon vor gut 10 Jahren, als ich zum ersten Mal in China war, gab es dort nur noch Elektro-Roller. Die Dinger sind ein bisschen unheimlich - man hört sie nicht, und die Leute heizen damit durch die Gegend wie nichts Gutes. So wartet an jeder roten Ampel eine Roller- Armada, aber nur, wenn man Glück hat. Oft werden die roten Ampeln einfach ignoriert. So bin ich das ein oder andere Mal mit einem Satz, begleitet von einem kleinen Schrei, beiseite gesprungen.
Apropos Ampeln - die Zebrastreifen wechseln an den Seiten im Dunkeln mit der Ampel die Farbe, von rot auf grün und umgekehrt, große Klasse!
Als es dann dämmerte, haben wir uns zum Jin Mao Tower aufgemacht. Eine gute Freundin und China-Expertin hatte uns den Tipp gegeben, dass man dort in der Bar im 87. Stock hervorragend einen Sun-Downer genießen kann. Nur macht die Bar im Herbst bzw. Winter dazu zu spät auf. Als wir endlich rein durften, war die Sonne längst untergegangen. Dafür konnten wir beobachten, wie nach und nach die Beleuchtung an den vielen Wolkenkratzern eingeschaltet wurde. Sehr beeindruckend und auch der Bund auf der anderen Seite des Flusses erstrahlte im Licht.
Am Vorabend hatten wir zur Dämmerung eine Bootstour gemacht. Auch da konnten wir schon beobachten, wir sich die Stadt nach und nach in ein Lichtermeer verwandelt. Und auf dem Huangpu herrscht auch nachts reger Schiffsverkehr. Das sah ein bisschen spooky aus, denn die Lastkähne waren - im Gegensatz zur Stadt - nur minimal beleuchtet, wenn überhaupt. So wurde unser Schiff von einer Flotte schwarzer Kähne verfolgt, von denen der ein oder andere uns dann überholte - leicht gruselig ...
Shanghai hat übrigens den größten Containerhafen der Welt, was der Lage im Jangtse- Delta in unmittelbarer Nähe des Meeres geschuldet ist. Was die Lastkähne ins Landesinnere transportieren ist hauptsächlich Sand - es wird also weiter fleißig überall gebaut ...
Einen Tempel haben wir dann auch noch besichtigt, bevor es wieder Richtung Flughafen ging - den Jing‘an Tempel. Der muss seinen Platz inmitten von Häuserfluchten behaupten, in den Seitengebäuden befinden sich zudem von außen diverse Geschäfte. Ursprünglich wurde der Tempel im 3. Jhdt nach Chr. an einer anderen Stelle errichtet und im 13. Jhdt an die jetzige Position verlegt. Während der Kulturrevolution wurde er kurzerhand zu einer Kunststoff-Fabrik umfunktioniert, später aber wieder zum Tempel zurückgebaut. Er birgt heute die älteste weiße Jade-Buddha-Statue Chinas.
Auf dem Weg zu diesem Tempel haben wir im Übrigen ein schnuckeliges Viertel namens Französische Konzession passiert, das Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts in französischem Besitz war. Hier mussten und müssen die alten Häuser nicht modernen Wolkenkratzern weichen, wie sonst in großen Teilen der Altstadt. Das Viertel mutet europäisch an. Überall stehen Platanen, die die Franzosen seinerzeit als Straßenbäume eingeführt haben.
An anderen Stellen ist wirklich nicht mehr viel von der Altstadt übrig - ein kleines Eckchen wird man wohl stehen lassen, ansonst sieht man an allerorts die Abrissbirne.
Was man noch allerorts sieht sind Kameras - die Videoüberwachung ist scheinbar perfekt. Es erinnert in dieser Hinsicht an London, da wimmelt es auch davon.
Und ich habe noch nie so viele Menschen permanent am Handy gesehen. Dagegen sind wir in Europa noch Waisenkinder. Überall wird gedaddelt, gechattet, gesurft, wow!
Anyway, das waren unsere Shanghai-Impressionen, also keine Spelunken und Opiumhöhlen - stattdessen eine hochmoderne Metropole ...
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Karin H. (Sonntag, 24 November 2019 12:01)
Liebe Ulrike,
während ich hier SCHAMLOS :-) (du verstehst den Wink) auf dem Sofa sitze, in Berlin scheint die Sonne, lese ich mit Begeisterung eure Reisebeschreibungen. Nach Shanghai möchte eich auch noch gerne und eure Beschreibungen erinnern mich etwas an Tokio. Ein Meer von Hochhäusern. Und Moderne und Tradition nebeneinander. Eure Beschreibungen machen richtig Sehnsucht.
Liebe Grüße
Karin
Olga (Sonntag, 24 November 2019 12:29)
Sehr spannend! �
Danke, Ulrike!
Susanna (Sonntag, 24 November 2019 18:53)
Liebe Rike, wow was für eine Stadt, tolle Eindrücke, noch bessere Fotos und interessante Geschichten über Shanghai. Das möchte ich mir auch mal anschauen. Liebe Grüße von uns 5 Harrers aus Wien an euch zwei Weltenbbummler.